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Davidsternstunden

Thilo Schneider • Nov. 02, 2021

Der Fall Gil Ofarim und das mäandernde Kettchen

Bild von Ulrich B. auf Pixabay
Hat er oder hat er nicht? Nach Gil Ofarims viralem Handyvideo, in dem er behauptete, wegen eines Anhängers mit Davidstern nicht im West In Leipzig einchecken zu dürfen – was tatsächlich klar antisemitisch gewesen wäre – kommen nicht nur erste, sondern mittlerweile zweite und dritte Zweifel auf. Die Geschichte bis hierher: 

Gil Ofarim bezichtigt das West In, speziell dort den Mitarbeiter W., ihn wegen seines sichtbar getragenen Davidsterns nicht einchecken zu lassen. 

Das West In Leipzig beurlaubt den Mitarbeiter W., die Angestellten des West In „werben“ mit einer - gelinde gesagt – unglücklichen Banderole für die Vielfalt ihres Hauses. 

Hunderte Leipziger demonstrieren vor dem West In gegen Antisemitismus.

Das West In kündigt eine interne Untersuchung an, beide Seiten überziehen sich gegenseitig mit Anzeigen

Gil Ofarim ist sich nicht mehr so sicher, den Stern getragen zu haben, behauptet aber jetzt, es ginge „um Größeres“. 

Auf Überwachungsvideos des West In und nach Überprüfung durch eine vom West In beauftragte Anwaltskanzlei und die Polizei ist das Schmuckstück nicht zu sehen.

Daher widerspricht das West In der Darstellung von Ofarim und stellt den bis dato freigestellten Mitarbeiter wieder ein.

Gil Ofarim ist sich doch wieder sicher, seinen „Magen David“ um den Hals gehabt zu haben. 

Gil Ofarim scheint ein besonderes Zauberschmuckstück zu tragen: Mal ist es da, dann wieder weg, dann geht es „um was Größeres“ (sein Ego?), dann wieder da. Unwillkürlich frage ich mich da als Leser und Autor, ob sich hier ein leidlich bekannter Promi des Privatfernsehens nicht einfach seiner Eitelkeit entsprechend behandelt fühlte und daher „die Antisemitenkarte“ geschickt und gekonnt ausgespielt hat, die ihm jetzt auf die Füße fällt. 
Entweder haben wir hier einen saudummen Ein-Sterne-Promi, der einen auf „wichtig“ machte, oder einen saudummen Angestellten eines 5-Sterne-Tempels, der seinem Antisemitismus freien Lauf lies. 
Ich schätze, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen, rein hypothetisch könnte ich mir Folgendes vorstellen: 

Ofarim kommt an den Counter und beschwert sich, dass andere Gäste vor ihm eingecheckt wurden. Der Angestellte erklärt ihm, dass er die Schlange entzerren wollte und Ofarim sich beruhigen solle. Zornig packt Ofarim seinen Stern aus dem T-Shirt aus und hält ihn dem Mitarbeiter mit den Worten: „Ich bin sehr berühmt und außerdem Jude – wissen Sie, was ich mit Ihnen und ihrem Schuppen mache, wenn das hier jetzt nicht ganz hurtig vorwärts geht?“ unter die Nase. Der reagiert cool und sagt: „Packen Sie den Stern weg, dann checken wir Sie ein. Drohen lasse ich mir nicht.“ 

In diesem rein hypothetischen Szenario hätten tatsächlich beide mit ihren Aussagen recht und das Ganze wäre zwar ein Zoff zwischen einem hypernervösen Selbstdarsteller und einem lässigen Hotelangestellten – es wäre aber kein antisemitischer Vorfall. Dazu hätte ihn Ofarim erst selbst hingebastelt. Und hier beginnt die eigentliche Tragödie: 

Ich habe als einer der ersten Ofarims Video gesehen und ihm zu 100% geglaubt. Die Story war zuerst einmal schlüssig und emotional vorgetragen. Ich war sehr sauer auf das West In, dass es augenscheinlich antisemitische Mitarbeiter beschäftigt (das darf das West In, im Personalfragebogen dürfte wohl auch niemand darüber Auskunft geben), der seinem Antisemitismus mal freie Fahrt und vollen Lauf gegeben hat (das wiederum wäre Geschäftsschädigung durch den Mitarbeiter und würde zurecht seinen sechszackigen Rauswurf bedeuten). Ich konnte mir auch wirklich nicht vorstellen, dass ein leidlich bekannter D-Promi so bescheuert ist und sich einen tatsächlich strafrelevanten Sachverhalt nur ausdenkt und in den sozialen Netzwerken teilt. So doof konnte ganz einfach niemand sein, der Medienerfahrung hat. Und auch, wer keine hat. 

Außerdem hat das Narrativ auch so hübsch gepasst, egal ob das W in Herrn W. für „Westermann“, „Weißband“ oder „Walid“ oder „Wladimir“ steht. Leipzig, Sachsen, alles klar…

Heute, knapp vier Wochen nach dem vergeblichen Eincheckversuch, sehe ich einen armwedelnden Ofarim, der wortreich erklärt, was er nun „hatte oder nicht hatte oder doch hatte oder aber, in jedem Fall also, Antisemitismus, aber hallo so irgendwie!“ Ein peinliches Bild. 
Die Affäre ist dadurch aber auch zu einer Affäre der Teilnehmenden in den sozialen Medien geworden. Da gibt es die wie mich, die sich stets die Hacken gegen Antisemitismus in den Boden gestemmt haben und Ofarim geglaubt haben. Wir stehen jetzt buchstäblich da wie die Idioten, die sich naiv in die Irre haben führen lassen. Da ärgert mich meine eigene Dummheit. Kein schönes Gefühl, das gebe ich zu. Ich werde (hoffentlich) daraus lernen. Audiatur et altera pars. Immer. 

Daneben aber outen sich die wahren Antisemiten, die es plötzlich ja „schon immer gewusst haben“, weil er „eben so ist, der Jud“ und auch das sind überraschend und erschreckend viele. Viel zu viele, die jetzt aus ihren Löchern gekrochen kommen und mit Häme und Schadenfreude über Ofarim und die, die sich mit ihm solidarisierten, herfallen. 

Wir sollten deshalb also nichtsdestotrotz nicht so tun, als gäbe es ihn nicht, den deutschen Antisemitismus, als wäre Antisemitismus stets importiert. Für einen Juden macht es per se sowieso keinen Unterschied, ob ihn ein Deutscher oder ein Araber beschimpft und bespuckt. Aber die Frequenz erhöht sich, wenn Antisemitismus zusätzlich ins Land geholt wird. Wenn die Sachlage in diesem einzelnen vorliegenden Fall sich auch wahrscheinlich anders darstellt, als von Ofarim behauptet, so zeigen die Reaktionen auf seine Geschichte mit dem flackernden Stern, dass er im Grunde eben doch recht hat. Das hat aber dann mit seiner Story nichts zu tun, sondern ist lediglich die Folge daraus. Wie man es dreht und wendet: Gil Ofarim hat sich mit seiner vorschnellen und undurchdachten Aktion gesellschaftlich für „Freund und Feind“ erledigt und denen, die tatsächlich Antisemitismus ausgesetzt sind und denen, die mit ihnen solidarisch sind, einen furchtbaren Bärendienst erwiesen. Schade. Aber so sind Menschen(!) eben auch. Ganz unabhängig von ihrer Herkunft, Religion, Sexualität, Hautfarbe oder politischen Einstellung. 

Buddhistisch gesehen - hätten jedenfalls so beide recht. Es gibt eine Wirklichkeit und mehrere Wahrheiten. 

von Thilo Schneider 12 Jan., 2024
„Guten Abend, liebe Zuschauer! Zu unserem heutigen Thema „Wann ist man ein Nazi“ habe ich heute einen absoluten Experten auf diesem Gebiet eingeladen: Werner Strößenbrunner!“ (Applaus, der Experte im grauen Anzug mit einem schwarz-weiß-roten Ansteckerchen betritt die Bühne) „Guten Abend, Herr Strößenbrunner…“ „Obersturmbannführer Strößenbrunner bitte. Aber nennen Sie mich einfach Obersturmbannführer.“ „Danke, Herr Obersturmbannführer. Schön, dass Sie heute unter Gast sind.“ „Ja gerne und ein herzliches Heil! Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ „Herr Obersturmbannführer, ich darf Sie unserem Publikum kurz vorstellen: Vorstrafe wegen des Schmierens von Hakenkreuzen auf Synagogen, gewalttätiger Übergriff auf den Wirt eines israelischen Restaurants, Vorsitzender des Vereins „Blut und Boden“, Vorsitzender der Jugendorganisation „Reichskriegsflagge“ und Verfasser des Buchs „Vorschläge zur vorläufigen Erledigung der Remigration“. Herr Obersturmbannführer, würden Sie sagen, Sie sind ein Rechtsextremist?“ „Ach wissen Sie, was heißt denn Rechtsextremist? Heutzutage wird man viel zu schnell von den öffentlich-rechtlichen, von Soros und Rothschild finanzierten Systemmedien in die rechte Ecke geschoben. Ich würde mich als konservativen Patrioten bezeichnen.“ „Naja, das Schmieren von Hakenkreuzen ist kein Kavaliersdelikt…“ „Da war ich 17 Jahre alt. Eine bedauerliche Jugendsünde. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie das war. Ich war da in der Ausbildung zum Landschaftsmaler, das war damals so, und sollte Farbe von A nach B bringen und da war diese Synagoge und ich stand so da und plötzlich waren da mehrere Hakenkreuze drauf. Ich habe bis heute keine Ahnung, wie das passieren konnte und es tut mir auch leid…“ „Die Hakenkreuze tun Ihnen leid?“ „Nein, es tut mir leid, dass ich nicht mehr Farbe dabeihatte. Ich wollte neue holen, aber da waren die Schergen der linksunterwanderten BeErDe bereits da und haben mich verhaftet. Obwohl ich gar nichts dazu konnte.“ „…und die Körperverletzung…?“ „Ach, ganz normale Wirtshausschlägerei, wie sie bei jedem Dorffest stattfindet…“ „…das war keine gezielte Attacke auf den jüdischen Besitzer?“ (seufzt) „…er wollte uns hindern, unsere Brandsätze zu zünden. Was hätten Sie denn in meiner Situation getan? Natürlich habe ich ihm auf die Menora gegeben, das war aber mehr so ein Reflex, so aus der Drehung heraus. Das wurde damals von der ostküstenfinanzierten Lokalpresse schrecklich aufgebauscht…“ „Sie müssen aber schon zugeben, dass das ein wenig den Eindruck erweckt, als hätten Sie etwas gegen Juden…“ „Was? Nein! Ich habe gar nichts gegen Juden, da sind ja schon die ursprünglich von den Nazis verschärften Waffengesetze außen vor!“ „Würden Sie, Herr Obersturmbannführer, sagen, dass Sie Antisemit sind?“ „Nur, weil ich keine Juden mag? Das wird ja wohl noch erlaubt sein!“ „Aber es sind ja nicht nur Juden, um die es Ihnen geht?“ "Ich habe ein generelles Problem mit Volk, das nicht hierhergehört! Und nicht nur ich! Sehen Sie sich doch um! Die ganzen Schleiereulen, die Kopftuchstaffeln, die stark pigmentierten Menschen, das ist doch nicht mehr schön? Da muss man doch etwas tun! Gegen diese Umvolkung muss sich doch ein rassisch gesundes Volk bis zur letzten Patrone mit fanatischem Widerstand durchsetzen!“ „Das ist ein gutes Stichwort! In Ihrem Buch zur Remigration schlagen Sie beispielsweise vor, dass Bürger mit deutschem Pass, deren Ahnenreihe nicht wenigstens vier Generationen zurückreicht, die Staatsbürgerschaft entzogen werden soll, wenn sie einen zweiten Pass haben.“ „Ja, da muss man sich eben mal entscheiden, ob man deutsche Sozialleistungen oder türkischen Wehrdienst und Erben genießen will. Sie haben ja auch keine zwei Frauen, sondern müssen sich für eine entscheiden. Wenn Sie jetzt nicht gerade aus dem Nahen Osten kommen.“ „Wäre das aber nicht ein klarer Verstoß gegen das Grundgesetz?“ „Ach, das kann man mit 2/3-Mehrheit ändern, da sehe ich jetzt kein so großes Problem.“ „Außerdem schreiben Sie, dass Sie straffällig gewordene Bürger entweder nach Möglichkeit abschieben oder zu körperlicher Arbeit verpflichten wollen!“ „Ja, ich halte das für eine gute Lösung! Wir kaufen den Marokkanern, Tunesiern oder Libyern ein Gelände in der Wüste ab und da packen wir das ganze Kroppzeug hin. Da können sie dann den ganzen Tag Sandsäcke füllen, was wiederum den Opfern in unseren Hochwassergebieten zugutekäme.“ „Auch das wäre aber nicht nur ein Verfassungsbruch, sondern sogar ein ethischer Dammbruch. Obersturmbannführer, klare Frage, klare Auskunft: Sind Sie für ethnische Säuberungen in Deutschland?“ „Ach, „ethnische Säuberungen“, das ist auch nur wieder so eine Hohlphrase aus der linken Ecke, um patriotische Deutsche zu framen und zu verunglimpfen. Ich will hier einfach nicht so viele Westasiaten haben. Ein paar sind ja in Ordnung und machen im Niedriglohnsektor einen ganz guten Job, einer muss ja das Essen an den Tisch bringen und Opa mal im Pflegeheim umdrehen, aber das heißt doch bitte nicht, dass hier gleich eine Umvolkung stattfinden muss…“ „Auch das war aber jetzt bereits rassistisch!“ „Ach, was heißt denn „rassistisch“? Ich sag doch nur, wie es ist und wie es die Mehrzahl der Bevölkerung sieht!“ „Glauben Sie, die Mehrheit sieht das so?“ „Wenn wir erst einmal die Mainstream-Medien übernommen haben, dann werden die das so sehen, mein Wort darauf!“ „Sie planen also so eine Art „Machtergreifung“? „Auch wieder so ein Wort aus der linksradikalen Mottenkiste. Wir reden davon, wie wir die politischen Verhältnisse in Deutschland im Sinne des deutschen Volkes neu ordnen können.“ „Ist es korrekt, dass Sie in Ihrer Funktion auch Gespräche mit den Spitzen der AfD führen?“ „Das sind nur private Gespräche, ganz locker und ohne jeden Hintergrund, man kennt sich doch, da sehe ich jetzt kein Problem. Die denken ja im Grunde wie wir, trauen sich nur nicht, das laut zu sagen, aber man wird ja wohl noch auf ein Bier gehen dürfen! Das wird alles viel zu hoch aufgehenkt.“ „Herr Obersturmbannführer, was wäre denn für jemanden wie Sie ein Nazi?“ „Das wäre jemand, der zwischen 1890 und 1930 geboren ist und Mitglied bei der NSDAP war. Das wäre ein Nazi.“ „War Hitler ein Nazi?“ „Ich glaube nicht, dass man das so pauschal sagen kann, er war zwar Mitglied der Partei, aber er hat ja auch die Autobahnen gebaut, die Kirchensteuer eingeführt und die Schreibschrift reformiert, das darf man nicht vergessen!“ „…und was wäre für Sie ein Rechtsextremist?“ „Das wäre jemand, der Leute in Gaskammern schicken oder vernichten will und dazu auch noch Nachbarländer überfällt. Das ist ja nicht das, was wir wollen! Aufgrund der Demographie brauchen wir kein neues Land im Osten. Da müssen wir erst einmal hier wieder auffüllen.“ „Herr Obersturmbannführer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Guten Abend.“ „Heil!“
Deutende Punkerin. Bild von Wolfgang Eckert auf Pixabay.
von Thilo Schneider 15 Juli, 2023
Ich wurde als Hetzer, Rechtspopulist und Rassist bezeichnet. Wenigstens ein Punkt stimmt.
Bild eines Gitarristen von Pexels auf Pixabay
von Thilo Schneider 25 Juni, 2023
Kleinkünstler sollten besser links sein - wenn sie Auftritte mit Freibier haben wollen. Und sie sollten einen albernen Hut oder Pferdeschwanz haben! Und im Leben den Rettungsring daneben gegriffen haben.
Polizeikontrolle, mit Spielzeugautos nachgestellt
von Thilo Schneider 30 Mai, 2023
Eine Polizeidozentin, eine Polizeikontrolle, ein "nicht so gemeinter Tweet", ein Drama in einem Akt.
Fallschirmjäger beim Sammeln
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Wenn man morgens um 8 ohne Knoppers einen Staatsstreich vereitelt
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