Ich bin ja jetzt in einem Alter, in dem die Kinder in einem Alter sind, in dem ich war, als ich Vater geworden bin. Das kann einem schon Angst machen. Früher, wenn sonntags das Telefon geläutet hat und meine Frau dran ging, dann ging der Dialog so:
„Elke? Wo bist Du? Geht es Dir gut? Ja, natürlich holen wir Dich ab. Nein, kein Problem. Dir geht’s wirklich gut? Wir müssen nicht ins Krankenhaus oder zur Polizei? Ach… DA bist Du. Ich dachte, Du hast mit dem Schluss gem… Achso, hast Du. Von gestern Acht bis heute um Zehn. Ja, nein, gar kein Problem. Ja, verstehe ich, das macht man zum Abschluss nochmal, für die Erinnerung. Papa holt Dich gleich ab.“
Und, ich schwöre, bei Gott, selbst wenn es hier ein Erdbeben nebst Vulkanausbruch beim Einmarsch der Russen gegeben hätte – ich hätte mich ins Auto gesetzt und wäre losgefahren. Es geht schließlich um meine Tochter.
Etwas später musste ich sie gar nicht mehr abholen. Da wurde sie gebracht. Eines Morgens, von einem jungen Mann. Bärtig, mit so einem umgedrehten Baseballkäppi. Ich weiß es deshalb so genau, weil er mit seinem Zweier-Gebraucht-BMW die Mülltonne in der Einfahrt umgefahren hat. Da steht sie dann vor uns in der Wohnzimmertüre mit einem Typen, den sie „Micky“ nennt. „Micky“. Wie die Maus. Und sie sagt, „das ist Micky, von dem ich Euch schon erzählt habe“. Kann sein, dass sie das hat. Aber mich hat das nicht weiter interessiert. Ich dachte, Typen, die Micky heißen, muss ich für meine Tochter nicht ernst nehmen. Die Mickys der Welt fragen normalerweise: „Für hier oder zum Mitnehmen?“ und ich ging davon aus, meine Tochter zu einer Frau erzogen zu haben, die sich ihren künftigen Ehemann und Vater meiner Enkel aus einem Pool von Jungs mit der Namensendung „-an“ aussucht. Also, Maximili-an, Flori-an, Mari-an, Adri-an und, wenn es unbedingt hätte sein müssen, sogar Stef-an. Und sie kommt mit der Micky-Maus.
Vielleicht liegt es an meinen Vorurteilen. Vielleicht liegt es daran, dass es meine Tochter ist. Ich habe den Typen von der ersten Sekunde an gehasst. Allein schon wegen der Mülltonne. Und wegen des Fusselbarts. Der hat ausgesehen wie der Praktikant in einem IS-Terrorausbildungslager. Und dann dreht der den Kopf und hat nicht nur einen, sondern zwei Ohrringe. Als ob einer nicht schon peinlich genug wäre. Und ein Tattoo spitzt aus seinem Unterhemd. Anscheinend das Ende einer Schlange, die aus der Stelle unter seinem Adamsapfel kriecht. Ganz super. Der Beschäler meiner Prinzessin hält sich für einen Wikinger. Mit Baseballkäppi.
Micky sieht mich an, ich sehe Micky an. 5 Sekunden. LANGE 5 Sekunden. Und ich bemerke das Aufflackern von Angst in seinen Augen. Zu Recht. Dieser Versager vögelt meine Prinzessin. Er muss sterben. Micky-Maus will fliehen, er hat es angeblich eilig, aber meine Tochter nötigt ihn an unseren halb leer gegessenen Frühstückstisch. „Hallo Micky“ sagt die Angetraute. „Tasse Kaffee?“ fragt sie ihn in einem freundlichen und mütterlichen Ton und Mickys unruhiger Blick flackert zwischen ihr und mir hin und her. Feigling. Er ist auf feindlichem Territorium und er weiß es. Er setzt sich, meine Tochter sitzt nebendran und versucht, ihn zu beruhigen, indem sie seine Hand stärker knetet als die Physiotherapeutin von Roger Federer.
„Ehm, ja, nein, doch, na gut, eine Tasse vielleicht… Ich will keine Umstände machen…“, sagt er hastig.
Entscheidungsschwach ist er auch noch, die Memme. „Zu spät“, denke ich mir, „Du kleiner Scheißer. Ist schon passiert. Und wenn Du meiner Tochter andere Umstände machst, wird mein Enkel als Halbwaise aufwachsen. Ich schwöre es.“ Natürlich sage ich ihm das nicht. Ich fixiere ihn nur. Er kann es auch so in meinen Augen lesen. Meine Frau schenkt ihm ein und ich sage vorwurfsvoll: „Er wollte doch keinen. Er will doch wieder weg…“ „Ach Papa“, blökt meine Tochter dazwischen, „mach Dich mal locker…“. Ich BIN locker, mein Baby. Ich werde diese Pfeife ungespitzt in den Boden rammen.
„Sagen Sie… MICKY… Was machen Sie beruflich?“, frage ich ihn im kalten Gestapo -Verhörton. Micky öffnet den Mund wie ein Fisch und will was sagen. Aber meine Tochter ist schneller. „Micky studiert Mikrobiologie und geht nächstes Jahr nach an die Uni Stockholm als wissenschaftlicher Assistent“, erklärt sie.
Biologie also. Ja, ne, is klaaaa. „Anatomie des weiblichen Geschlechts unter Zufuhr von Alkohol und Schwarzlicht“ oder was? Ich kenne die Typen. Nix auf der Naht, aber flinke Fingerchen…
„Biologie also…“, echoe ich, „Und in welcher Welt verdient man damit Geld? Im Bioladen oder der Feinkostabteilung von Edeka?“ Micky, die Biosau, gestattet sich ein Lächeln. „Nein, wir betreiben Grundlagenforschung. Wir entschlüsseln das menschliche Genom und versuchen so, Krankheiten zu heilen oder festzustellen, wie wir beispielsweise Krebs oder ALZHEIMER (und da nimmt mich der Arsch genau ins Visier) heilen können…“ Genome entschlüsseln. Schwachsinn. Du willst an die Gene meiner Familie, mein „Freund“, das ist alles!
„Und wer zahlt dafür? Natürlich die Pharmaindustrie und dann der kleine Verbraucher“, werfe ich ihm verächtlich zu, diesem kleinen Handlanger der Pharmamafia, diesem Schaumschläger der DNA, diesem Schergen der Gesundheitsindustrie!
„Papa“, sagt meine Tochter vorwurfsvoll, „beruhige Dich. Micky ist schwul. Da läuft nix.“, outet sie ihn. Und ich fürchte, man hat den Stoßseufzer meiner Erleichterung laut hören können. Schwul also. „Oh, dann tut es mir leid, dass ich Sie so hart angegangen bin“, entschuldige ich mich.
„Und warum bringt er Dich dann heim?“, will ich von meiner Tochter wissen. „Weil ich einen neuen Freund habe, der heute Morgen aber schon zu seinem Vater musste, um ihm im Laden zu helfen.“
Sonntags? Was für ein Laden soll das sein? „Ich hoffe für uns beide, er hat einen Namen, der auf -AN endet“, gebe ich verdrießlich zurück.
Meine Tochter lächelt mich an. „Ja, kein Problem, tut er. Er heißt Gökhan…“