Es ist ein gar nicht so früher Morgen im August. Die Mauersegler haben sich auf den Weg in ihr Winterquartier gemacht und so wurden wir nicht in der Morgendämmerung von ihrem Geschrei geweckt. Die beste Gefährtin von allen sitzt am Frühstückstisch und es ist ihr anzusehen, dass sie über ein Problem brütet, was allenthalben besser ist, als Nachwuchs auszubrüten.
„Worüber brütest Du?“, frage ich leichtsinnigerweise, aber so ist das in einer Partnerschaft, man muss immer wieder Risiken eingehen. Sie sieht mich an und sagt: „Ach…“. Wenn sie „ach“ sagt, dann weiß ich als routinierter Frühstücksmitesser, dass jetzt gleich Schwung in die Bude kommt. Sie wiederholt sich: „Ach…“ Oha, Doppelach. Wenn DAS kommt, sollte ich eigentlich das Weite suchen, denn das wird jetzt nicht schön. Irgendein schwerwiegendes Problem hat sie, dass sie da wälzt. Doch statt sofort aufzuspringen und mit einer fadenscheinigen Ausrede abzuhauen, höre ich mich wie in Trance sagen: „Was ist denn?“
Sie seufzt: „Ich frage mich, ob mir blonde Haare nicht besser stehen als das jetzige Rot…“ Verdammt. Jetzt brauche ich mehr Diplomatie als Kennedy während der Kuba-Krise. Egal, in welche Richtung ich Stellung beziehe, sie wird auf jeden Fall falsch sein. „Ich liebe Dich mit jeder Haarfarbe…“, probiere ich es. Falsche Antwort. „Dir ist es also egal, welche Haarfarbe ich habe?“, fragt sie spitz. „Nein, so meinte ich das nicht, aber wichtig ist doch der Mensch, der unter den Haaren steckt…“, erkläre ich mich. Sie überlegt: „Würde ich mir also die Haare lila färben oder würde ich sie einfach grau werden lassen, dann wäre Dir das egal?“, will sie wissen. „Nein, doch, also, darauf kommt es doch…“ Ich gerate ins Schleudern. „Wäre es Dir auch egal, wenn ich eine Glatze hätte?“, hakt sie nach. „Hast Du aber nicht, aber ja, ich meine nein, warum solltest Du eine Glatze haben?“, verteidige ich mich. „Also sind Dir meine Haare DOCH wichtig“, triumphiert sie.
„Geliebtes Weib. Ich liebe Dich als ganzer Mensch, mit allem drum und dran und dem, was Du bist!“ versuche ich einen neuen Anlauf. „Also auch mit Haaren“, konstatiert sie. „Ja, auch mit Haaren.“ Sie überlegt: „Hat Dir das Blond besser gefallen oder gefällt Dir jetzt das Rot besser?“ Vielleicht wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, vom Balkon zu springen oder, wenn ich es lebensgefährlich haben will, zu sagen, „Wie? Du hast die Haarfarbe geändert? Ist mir gar nicht aufgefallen!“, aber ich entscheide mich, wieder neutral, zu antworten: „Beides steht Dir!“
Sie schnauft schwer. „Mit blonden Haaren sehe ich jünger aus, auch unschuldiger, aber die roten Haare sehen erwachsener und reifer aus“, lässt sie mich an ihren Gedanken leider teilhaben. „Meine werden grau“, versuche ich sie zu trösten. Aber das nutzt nichts. Sie schickt einen „bitte stirb jetzt. Jetzt sofort!“-Blick über den Tisch und meint trocken: „Du bist ja auch älter“. Ja, bin ich. Und meine Haarfarbe ist mir scheißegal. Ich kann von Glück sagen, dass ich mich in meinem Alter noch kämmen kann, das ist für einen Ü50 ein Privileg, für das ich verdammt dankbar bin und da ist es mir latte, ob ich da schwarze oder graue Haare kämme. Ich bin weit entfernt von einem dieser grauen Deppenpferdeschwänze, die sich manche Altersgenossen aus dem Haarring um ihre blöde Glatze flechten, um ihr Alter optisch ein paar Monate nach unten zu mogeln und ich sehe ebenfalls nicht aus wie ein Penis mit Ohren, der gleich eine Truppe junger Rekruten für den Vietnam-Einsatz drillt.
Aber das sage ich nicht. Ich will sie ja nicht anschreien. Das kann ich mit den Rekruten machen, nicht mit meiner haarigen Gefährtin. „Mir haben die blonden Haare super gut gefallen“, entscheide ich mich und hänge ein „aber das Rot passt besser zu Deinem Charakter“ hintendran. „Ich mag beides“, bekräftige ich. „Aber wenn Du Dir nicht sicher bist, dann färbe sie doch brünett?“, schlage ich vor. Wieder ein Seufzer. „Brünett sieht blöd aus“, erklärt sie, „dann sehe ich aus wie Frau Panneslowski aus dem Zweiten nebenan. Nun, ich kenne Frau Panneslowski und sie sieht blöd aus, aber das liegt zum einen an ihren aufgemalten Augenbrauen, die ein schielender Kosmetiker in unterschiedlichen Höhen angebracht hat, was ihr einen stets fragenden Gesichtsausdruck verleiht, zum anderen daran, dass sie beim Richten der Nase offenkundig den billigsten Chirurgen genommen hat, weswegen einen nicht nur die Augen, sondern auch die Nasenlöcher anstarren.
„Du siehst dann NICHT aus wie Frau Panneslowski“, stelle ich daher korrekt fest. „Aber so ähnlich“, beharrt sie und da ist auch nichts zu machen. Sie starrt mich an. „Was?“, will ich wissen und bin plötzlich furchtbar unsicher. „Deine Haare…“, hebt sie an und ich ergänze: „…sind in Ordnung, da vorhanden!“ „Du musst sie schneiden“, stellt sie fest. „Ich war erst beim Friseur“, stelle ich zurück fest. Und dann grinst sie gehässig. „Ich meine nicht Deine Kopfhaare. Dir wachsen Haare aus den Ohren und aus der Nase…“, erklärt sie. „Nicht schön“, fügt sie hinzu. Und ich höre mich diesen Satz sagen. Diesen einen einzigen Satz. Den sie mir nie – niemals – verzeihen wird. Ich konnte ihn nicht verhindern. Diesen einen Satz. Ich hätte lieber sofort sterben sollen. Mein limbisches System hat ihn ausgespuckt, ohne mich zu fragen. Einfach so. Reflex. Ich antworte mit:
„Na und? Dafür hast Du welche am Kinn.“
Okay, Sie haben es ja nicht anders gewollt. Ab jetzt kriegen Sie lecker Newsletter von mir. Falls Sie das lieber doch nicht wollen - kurze Email genügt.
Verdammt. Irgendetwas ging schief. Daran ist nr die AfD schuld. Bitte nochmal probieren!