Es ist nicht so, dass mir seltsame Verhaltensweisen meiner Mitmenschen nicht schon früher aufgefallen wären, aber da geht es mir sicher so, wie allen meinen Mitmenschen. Es sind ja immer nur „die Anderen“ die einen irgendwie abnormalen Eindruck machen, während man sich selbst für die Mitte des „normalen“ Kosmos hält. Deswegen habe ich dem auch keine weitere Bedeutung beigemessen, als unser Hausmeister nur die Lippen bewegend die gelben Müllsäcke zur Sammelstelle trug. Ich habe auch nicht tiefer hingesehen, als Frau Schmitt aus dem Ersten ihren gelben Sack, ebenfalls leise murmelnd, hinter dem Hausmeister hertrug.
Dass Herr Alpay aus dem Zweiten seinen langjährigen Mercedes-Diesel mit einem Vorschlaghammer zu Schrott verarbeitete, interessierte mich nur in dem Moment, in dem die Polizei anrückte. Wem von uns wäre noch nicht der Gaul durchgegangen? Okay, war massiv, aber mit seinem Auto kann er ja machen, was er will. Hellhörig hätte ich werden müssen, als er sich mein Auto betrachtete und meinte, „da sei ja noch so ein Höllengerät“, aber ich schob das auf seine Aversion gegen französische Autos, nicht gegen Dieselfahrzeuge im Allgemeinen. Vielleicht hätte ich auch misstrauisch werden können, als immer mehr Parkplätze vor dem Haus frei blieben, dafür aber der Fahrradkeller immer voller wurde, bis sich die Räder vor der Türe zu sammeln begannen. Im Nachhinein waren die Zeichen unübersehbar, aber ich schwöre, ich hatte da keine Acht drauf. Auch nicht darauf, dass ich irgendwann keine Flugzeuge mehr sah. Obwohl wir doch in der Einflugschneise liegen.
Die Kinder gingen irgendwann Freitag nicht mehr zur Schule, um auf
Demos zu gehen. Dann gingen sie auch Donnerstags
nicht mehr zur Schule
, um ebenfalls auf Demos zu gehen. Mittlerweile
gehen sie gar nicht mehr zur Schule und sind sozusagen nur noch auf Demos. Wie
die allermeisten Erwachsenen auch. Unsere hübsche Rasenfläche vor dem Haus ist
einem großen Gemüsebeet gewichen, das die anderen Bewohner angelegt haben und
das ständig wechselweise bewacht wird. Unnötig zu sagen, dass ich von dem
Gemüse nichts bekomme, weil ich ja nicht beim Anlegen des Beets geholfen habe.
Aber ich sehe ja auch kaum Fernsehen oder höre Radio, auch lese ich recht wenig
Nachrichten und ich vermute, das ist der Grund, warum ich einer der wenigen
bin, die nicht von dem Virus befallen sind. Sicher, ich habe meine Türe massiv
verriegelt und den Renault in einer der herrenlosen Garagen geparkt, die ich
abschließen konnte, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich endgültig weg
muss – oder sie mich kriegen.
Während ich diese Zeilen schreibe, sehe ich sie vor dem Fenster unten in der Hofeinfahrt, wie sie sich sammeln. Alle, alle sind da. Die Alpays , die Schmitts, die Leindeckers und ihre drei Kinder, alle – oder fast alle – meine Hausmitbewohner. Sie tragen Transparente, mit krakeliger Schrift bemalt, auf denen sich Slogans wie „FCKAFD“ oder „Rechts ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ befinden. Dazu durchgestrichene Hakenkreuze, lachende Sonnen und Regenbögen. „Nazis raus, Nazis raus“ rufen sie und „Wir sind mehr, wir sind mehr“ und sie schließen sich dem Strom der Demonstrierenden auf der Straße vor dem Hoftor an. Ich weiß nicht, wohin sie ziehen und ich will es auch gar nicht wissen. Sie werden spät in der Nacht zurückkehren und „nach Rechten“ suchen. Also vielmehr denen, die sie dafür halten, weil sie nicht mitgelaufen sind. Vor zwei Tagen haben sie da Herrn Göring erwischt, der schon alt und gehbehindert ist und vielleicht deswegen nicht mitgelaufen war. Oder er war noch geistig gesund, ich weiß es nicht, auf jeden Fall hat ihn die Meute angegriffen und unter lautem Gebrüll regelrecht zerrissen. Da halfen seine ganzen Beteuerungen nichts, er sei nicht mit Hermann Göring verwandt und er sei auch kein Nazi und habe sein Leben lang SPD gewählt – sie haben ihn gelyncht. Er war nicht mitgelaufen, also war er ein Nazi. Ende der Diskussion.
Ich habe die Vermutung, dass viele Demonstranten nur aus Angst Mitläufer sind, aber man kann sie schlecht fragen, wenn man nicht selbst in den Verdacht kommen will, kein Zombie zu sein. Ich könnte ja auch mitlaufen, aber wenigstens meine Nachbarn wissen, dass ich bisher ja nicht mitgemacht habe und wüssten dann, dass ich mich nur tarne, um nicht aufzufallen. Die Seuche hat ziemlich um sich gegriffen und ich wundere mich, dass wir noch Strom haben. Anscheinend haben auch die Leute in den Kraftwerken zu wenig Medienkonsum gehabt. Aber es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Zombies sie finden und töten werden. Weil sie eben „rechts“ sind.
Die Seuche ist aber nicht darauf beschränkt. Ich sehe maximal eine Nachrichtensendung am Tag. Nur eine, nicht mehr. Sicherheitshalber. Aber wenn in den Nachrichten der Klimawandel behandelt wird, so laufen am nächsten Tag meine Mitbewohner mit ausgestreckten Armen durch die Anlage und murmeln: „Muss. Klima. Retten. Muss. Klima. Retten.“ Gestern beispielsweise lief eine Doku über Massentierhaltung, die Schädlichkeit von Fleischkonsum und die Folgen für das Klima, die die Tierhaltung hat. Es kam heute, wie ich es erwartet hatte. Sie liefen alle planlos mit stumpfem Blick wie Roboter über den Hof und brummelten: „Vegan. Ernähren. Vegan. Ernähren.“ Dann fraßen sie die gerade erst gesetzten Salatpflänzchen aus dem Gemüsebeet. Es ist unfassbar, wie sich das Virus verbreitet hat und den Menschen in den Köpfen hängt.
Das Licht wird schwächer. Anscheinend ist nicht mehr genug Spannung im Netz. Ich werde jetzt doch irgendwann ´raus müssen, um mir Lebensmittel zu besorgen. Viele Lebensmittel. Und vielleicht kriege ich irgendwo noch etwas Dieselkraftstoff. Wichtig ist, dass sie mich nicht sehen oder erwischen. Dann bin ich reif. Da! Sie hämmern schon wieder an die Eingangstüre...
(Eat THIS, Roger Letsch … ich verneige mich!)
Okay, Sie haben es ja nicht anders gewollt. Ab jetzt kriegen Sie lecker Newsletter von mir. Falls Sie das lieber doch nicht wollen - kurze Email genügt.
Verdammt. Irgendetwas ging schief. Daran ist nr die AfD schuld. Bitte nochmal probieren!