Als ich mitbekommen habe, dass der Satan USA seine Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen will, war mir klar, dass mal wieder eine - ja, jetzt nicht antisemitische, das weiß man ja - anti-israelische und anti-amerikanische Demo in meinem Schtetl stattfinden würde und da wollte ich dringend mitmachen. Ich finde Demos grundsätzlich gut. Man äußert die freie Meinung der Mitlaufenden, lernt interessante wütende Leute kennen und kommt an die frische Luft, was ja auch sehr gesund ist. Es ist integrativ und man kann schön Sachen kaputt machen und Leute vertrimmen, ohne dafür belangt zu werden. Im Gegenteil wird man dann von den Parteien - also außer der AfD und der FDP - gelobt. Außerdem nützt es ja nichts, wenn man zu Hause hockt und auf dem Wohnzimmersofa zornig mit der der meinetwegen türkischen Fahne oder so wedelt. Das sieht ja dann außer der eigenen Ehefrau niemand und die fragt sich dann auch nur, mit was für einem Schwachkopf sie da verheiratet ist. Und man muss mit Wutschen und Wedeln aufhören, wenn es Abendbrot gibt, weil zornig wedeln und dabei Wurstbrot essen geht schlecht.
Deswegen bin ich in den Keller gegangen und habe geguckt, ob ich da eine brennbare amerikanische oder israelische Fahne finde, die ich günstigstenfalls unter dem Gejohle und Gekreische meiner Mitwütenden verbrennen kann. Aber ich hatte keine. Ich hatte auch keine palästinensische Fahne, weil die doch keinen eigenen Staat haben und von der internationalen Wohlfahrt leben und meinen Nachbarn, den Ismail, brauchte ich auch nicht fragen, weil der bosnischer Muslim ist und mit der Thematik so viel am Hut wie ich mit polnischer Außenpolitik hat. Und es sähe ja auch blöd aus, ginge ich zu ihm hinüber und würde ihn fragen, ob er für mich eine Fahne zum Anzünden hat. Das wollte ich nicht. Aber ich habe dann eine jamaikanische Flagge gefunden, die hatte ich mir im September gekauft, weil ich die zur Koalitionsfeier der guten Parteien mit der FDP aufziehen wollte und dann haben diese elenden Lindnergroupies da nicht mit gemacht. Was mich dann schon wegen der Flagge enttäuscht hat. So war also die Fahne quasi übergeblieben. "Die sieht so ähnlich aus wie die Palästina-Fahne und das macht auch nix, wenn Du die verbrennst", habe ich so bei mir gedacht und die eingepackt. "Gehst Du mit dem Hund?", hat mir die beste Lebensgefährtin von allen noch zugerufen, als ich gerade 'raus wollte und ich habe "nein, ich demonstriere gegen den Satan USA und die Jud... den Teufel Israel" zurückgerufen. "Ach so. Vergiss nachher nicht, ein Pfund Hackfleisch mitzubringen!", rief sie mir hinterher. "Mal sehen, was sich so findet", kicherte ich in mich hinein und bin 'raus.
Alleine die Anfahrt zu so einer Anti-Israel-Demo ist ja schon interessant. In der U-Bahn trifft man viele junge Menschen mit migrantinischem Vordergrund, die sich in ihrer Vatersprache munter unterhalten sowie angetrunkene Punks in schwarzen Klamotten, die zwar nicht wissen, worum es geht, sich aber auf die Auseinandersetzung mit den Bullenschweinen freuen und schließlich junge, aber sehr unförmig aussehende Frauen, die Latzhosen und selbstgestrickte Wollmützen tragen. Oh, und ein gepflegter junger Mann war heute auch dabei, wogegen der war, weiß ich nicht, der hatte eine Regenbogenfahne, die hat er aber blitzschnell verschwinden lassen, als ihn die Demonstranten böse anguckten.
Als ich vor die amerikanische Botschaft kam, war schon schwer was los. Viele zornige junge und bärtige Menschen aus dem vorderasiatischen Raum, manche schüttelten die Fäuste und riefen "Allahu akhbar" oder "Tod Israel! Tod USA!", andere hatten ihren Koran dabei und beteten und einer verkaufte heiße Maronen, was gut war. Also das mit den Maronen. Das Ganze hatte schon etwas Volksfestcharakter und ich sah mich um, ob ich irgendetwas kaputtmachen könnte, so aus Zorn, aber bei den Restaurants hatten sie die Stühle reingestellt und einen Wasserwerfer wollte ich jetzt auch nicht beschädigen, immerhin war der ja von meinen Steuergeldern angeschafft worden. Ein sehr alter Mann mit einem Rollator kroch langsam vorbei und rief, als er versteckte israelische Fahnen erblickte, "Judensau! Judensau!" aber da kamen wohl eher Erinnerungen aus seiner Kindheit hoch. Ein paar der jungen Leute gaben ihm trotzdem ein "Daumen hoch". Das fand ich nett. Ich entfaltete meine Jamaika-Flagge und wedelte heftig mit ihr herum. Dabei versuchte ich, möglichst grimmig auszusehen, was bei mir gar nicht so einfach ist, wie sich das jetzt anhört, da ich mehr so der passive Typ bin. Ich rief "Tod Palästina", aber da machte mich ein junger Mann sehr ungehalten darauf aufmerksam, dass das doch "Tod Israel" heißen müsse und dann habe ich eben, als Kompromiss, "Tod Schleswig-Holstein" gerufen, weil das doch der Henryk Broder mal den Juden geben wollte.
Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter. Ismail grinste mich an. "Na hallo, auch hier?", freute er sich. "Na klar", antwortete ich gut gelaunt, "man kann sich ja nicht immer verweigern!" Ismail nahm mich spontan am Nacken und drückte mir einen Schmatz auf die Wange. Dann popelte er eine amerikanische Fahne unter seiner Daunenjacke hervor und rief "Tod USA! Free Palestine!" Er entfaltete das Tuch, warf es auf den Boden und trampelte darauf herum. Er bedeutete mir mit winkenden Handbewegungen, mitzumachen und so knotete ich mir meine Jamaika-Flagge um den Hals und wir hopsten und tanzten auf der Fahne herum. Irgendjemand aus der Menge rief "harq, harq" und das ließ sich Ismail nicht dreimal sagen. Er schob mich von der Flagge und hob sie auf. Dann nahm er ein Einwegfeuerzeug aus der rechten Jackentasche und wollte die Fahne anzünden, aber leider war sein Feuerzeug leer. Ismail schwenkte die amerikanischen Farben heftig über den Kopf und brüllte mit hochrotem Gesicht: "Brenne! Brenne!" Das war natürlich sinnlos, weil vom Schwenken alleine brennt kein Tuch der Welt. Ein paar andere Demonstranten kamen mit dazu und wollten Ismail hilfsbereit beim Anzünden unterstützen, aber weil es windig und die Fahne vom drauf herumtrampeln nass war, wurde das nichts. Ismail warf also die Fahne wieder auf den Boden und spuckte drauf, was ihm einige Meinungsgleiche nachmachten und dann trampelten gleich mehrere Leute abwechselnd darauf herum, was irgendwie lustig aussah. Ein bisschen so, wie Kinder bei diesen Tanzspielen für die Playstation, nur ohne Musik.
Ein bärtiger junger Mann mit einem grünen Stirnband mit arabischer Aufschrift zog mich an meiner Jamaika-Fahne nach hinten, was mich etwas würgte. In sehr gebrochenem Deutsch wollte er wissen, von welchem Land denn mein improvisierter Umhang die Staatsfarben seien und ich klärte ihn auf. Auch, dass ich leider nichts anderes hätte, um mitzumachen. Er nickte zustimmend und wollte wissen, ob Jamaika Israel als Staat anerkannt hätte. "Ich denke schon", erwiderte ich und holte mein Handy heraus. Wir haben dann zusammen über Google herausgefunden, dass Jamaika ein Konsulat in Tel Aviv unterhält und mein neuer Freund meinte, dass das ein Skandal wäre. "Tod Jamaika!", brüllte ich, um ihn zu trösten und im Nu waren vier/fünf Leute um mich herum und wir riefen gemeinsam "Tod Jamaika!", was ich sehr freundlich und solidarisch fand. Ich habe dann nochmal in Google nachgesehen, weil ich wissen wollte, ob Jamaika eine Botschaft auch hier im Schtetl hat.
Hat Jamaika tatsächlich, aber weiter draußen, da, wo der Penny- und der Netto-Markt sind. Ich habe dann mal in die Runde gefragt, ob jemand mit mir vor die jamaikanische Botschaft zum Demonstrieren ziehen will, aber die wollten alle nicht. Ich bin schließlich alleine mit der U-Bahn da hin gefahren, nicht ohne mich vorher von dem immer noch hüpfenden Ismail zu verabschieden und dann bin ich zuerst in den Netto-Markt und habe mir ein Feuerzeug und das Hackfleisch gekauft. Dann habe ich mich vor das jamaikanische Konsulat gestellt, das, zugegeben, sehr viel weniger repräsentativ als die US-Botschaft ist, aber Jamaika hat ja auch nicht so viel zu melden wie die USA oder Palästina. Ich rief drei Mal laut "Tod Jamaika!" und zündete meinen Umhang demonstrativ an!
Leider wurde ich dabei durch einen Mitarbeiter des Ordnungsamts gestört, der von mir 20,- € wegen illegaler Müllverbrennung von Kleinstmengen oder so haben wollte, aber die habe ich gerne bezahlt. Was tut man nicht alles für die Freiheit von Palästina. Ich bin anschließend dann nach Hause gefahren und habe der besten Lebensgefährtin das Hackfleisch gegeben. Sie hat gefragt, wie es war und ich erzählte ihr, dass ich Ismail getroffen habe und wir es zusammen den Amerikanern und Juden und ich alleine es auch noch den Jamaikanern gezeigt habe. Sie meinte, das sei sehr integrativ von mir gewesen und dann haben wir zusammen Abendbrot gegessen. So ging ein schöner Tag zu Ende.
(http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jerusalem-entscheidung-proteste-vor-us-botschaft-in-berlin-a-1182535.html)