Neulich meinte die beste Lebensgefährtin von allen, wir könnten doch mal Ilse und Werner besuchen, weil wir die doch schon lange nicht mehr gesehen hätten (worüber ich persönlich jetzt nicht ganz unglücklich war) und das wäre doch toll und außerdem könnten wir doch da grillen. Das letzte Argument überzeugte mich und so fuhren wir zu Ilse und Werner auf das Land, denn Ilse und Werner wohnen in einem kleinen Ort, der so winzig ist, dass es nur eine Raiffeisenbank gibt, auf der man neben Aktien nachwievor von LehmannBrothers und der Holzmann AG auch Viehfutter kaufen kann. Nicht einmal eine Sparkasse gibt es.
Blöderweise stammt auch die beste Lebensgefährtin von allen aus dem Ort und kennt da 100% aller Einwohner und ist mit 50% davon irgendwie verwandt, also war das quasi ein kombinierter Heimat-Verwandtenbesuch.
Nun, ich mag das Landleben. So aus der Stadt heraus. Wenn ich da nicht hin muss. Da ist nichts. Bäume gibt es. Und Wiesen. Und Tiere. Kühe und so. Malerisch, aber leider sehr sehr langweilig. Auf´s Land kann ich immer noch. Wenn ich 100 bin oder so. Dachte ich.
Auf jeden Fall sitzen wir also bei Ilse und Werner auf der Veranda, unterhalten uns über dies und das und wann ich mein Buch herausbringen will (ich schätze, dann, wenn der Messias ein „jetzt wirklich sehr neues Testament“ geschrieben hat) und es riecht lecker nach Steaks (Werner kennt den Metzger, den Bauer und die Kuh, von der sie kommen), ein leichter Wind gaukelt mit dem frischen Grün der Buchshecke und wiegt sanft die Rosen und die Bordüre der blau-weißen Markise, Ilse hat den Tisch mit Kerzchen und allerlei grünem Zeug aus eigenem Anbau als Beilage gedeckt, es ist gemütlich und dann sagt die beste Lebensgefährtin diesen einen Satz, der mich gefühlte zwei Stunden Lebenszeit kosten wird: „Wir wollen ja auch irgendwann wieder auf´s Land.“
Das stimmt.
Aber nicht gleich morgen mittag um 14.00 Uhr. Nur sagt sie das nicht dazu. Denn Werner meint, „unne beim Schmidtsepp“ würde was frei. Ilse winkt ab. Das sei nichts, da gäbe es keinen Garten und die beste Lebensgefährtin wolle bestimmt einen Garten (diese nickt eifrig) und dann sagt Ilse, die Küppers Marie sei doch schon sehr alt, vielleicht sollten wir der ihr Häuschen abkaufen und mit Sitzrecht versehen, bis die Küppers Marie ins sanft wogende Gras beißt. Ich erfahre leider nicht ad hoc, ob der Vorschlag gut ist, denn die beste Lebensgefährtin ist sich etwas unsicher, wer Marie Küpper ist. „Ist das nicht die Oma vom Schlappes?“, will sie wissen. Werner winkt ab. „Nein“, sagt er, „die Oma vom Schlappes wohnt in der Feldstraße, das ist doch die Berninger.“ „Die, die früher den Schuhladen hatte, neben der Raiba“, ergänzt Ilse.
Meine Gefährtin ist begeistert: „Ach ja, stimmt ja. Ich erinnere mich, weil ich doch mit dem Schlappes und der Schönen Sabine da immer nach der Schule hin gegangen bin. Wohnt die noch hier?“ „Werner nickt. „Ja, die hat den Bartl geheiratet und die haben zuerst in Hintermondhausen gewohnt und dann haben die hier gebaut, auf dem Grundstück vom Kronenwirt, als der das Wanderheim aufgegeben hat und ins Altersheim ist.“
Es muss dieser Zeitpunkt gewesen sein, an dem ich mit dem Landleben abgeschlossen habe. Ich merkte, wie mir die Augen langsam zufielen, während mein Unterbewusstsein mit der Information versorgt wurde, dass der Vater vom Bartl einst mit dem geliehenen Corsa vom Hensbacher, der der Onkel von Schlappes ist, tödlich verunglückt ist, als er glaubte, physikalische Gesetze zum Thema „Fliehkraft in Kurven“ gälten nur für andere, weswegen der Bartl ja Halbwaise gewesen wäre, wenn seine Mutter, die Filialleiterin vom Rewe im Nachbarort gewesen wäre, nicht den Chorleiter vom Musikverein, den Dings, den, nasagmirsesliegtmiraufder Zunge, den Brenneis, ja genau, den Walter Brenneins, den Meingottwalter, hihi, geheiratet hätte, nachdem es mit dem Bernd, den sie zuerst hatte, nicht geklappt hätte, der wiederum später irgendeine von diesen Städterinnen geheiratet hätte, aber auch nicht lange, denn die wäre lesbisch gewesen, aber das hätte er erst gemerkt, als sie mit seiner Schwester, der Langen Silke, nach Südfrankreich durchgebrannt wäre, aber da hatte Bartls Mutter ja schon den Meingottwalter geheiratet, da wars natürlich nix, mit der Hochzeit, deswegen ist der Meingottwalter jetzt der Stiefvater vom Bartl, aber der hat irgendwas mit der Psyche (der Meingottwalter, nicht der Bartl) und ist derzeit in der Geschlossenen in Hopfenheim, was ich, selbst im Dämmerschlaf, sehr gut verstehen kann. Wahrscheinlich war er bei Ilse und Werner eingeladen, aber ich bin bereits zu apathisch, um das nachzufragen.
Ich schrecke kurz hoch, als meine Hand in Ilses Knoblauchdip fällt und erfahre bei vollem Bewusstsein, dass der Herbert (whoever he is) früher die Fischteiche im (und aus einem) Schlechten Grund hatte, bevor die unfreiwillige Feuerwehr Blödmannsdorf die Dinger leerpumpte, als der Kleine von der Miesner Charlotte mit dem Sven (Sven wer?) 2010 versehentlich beim „Feuerchen machen“ einen halben Hektar Wald abfackelten, was überhaupt den zweiten Feuerwehreinsatz nach November 1994 verursachte, nachdem damals die Scheune vom Mauschler abgebrannt war und da kann einer sagen, was er will, das war damals nie und nimmer eine Fermentation, sondern eine warme Sanierung oder ein Racheakt, weil der Vater vom Mauschler angeblich den Veterinär vom Landratsamt bestochen hat, damit der sein Vieh bei der BSE-Prüfung übersieht und ich habe den leisen Verdacht, dass der komplette Ort das Vieh des Mauschlers seinerzeit gefressen hat, anders kann ich mir das nicht erklären. Was den Racheakt angeht, so könnte der auch von Oberförster Wittmann kommen, dessen Großvater seinerzeit den ersten NSDAP-Ortsverband gegründet hat, weil der Mauschler oder des Mauschlers Vater was mit der Frau von OberförsterWittmann auf dem Schützenfest 1996 gehabt hätte (Werner weiß das so genau, da er damals den Volvo neu gekauft hatte), wo damals der Josefa ihr Mann dem Pfarrer die Nase gebrochen hat, weil der zu seiner Tochter wohl etwas zu kinderlieb war...
Ich wache irgendwann auf, als meine Lebensgefährtin mir in die Seite stupst und meint, ich könne ja auch mal was sagen. Schlaftrunken, voll mit Pils der örtlichen Brauerei und noch benommen äußere ich die Vermutung, Ilses und Werners Stammbaum könne ein Kreis sein, das sei auf dem Land nicht unüblich.
Und seit unserem dann etwas überhasteten Aufbruch habe ich Ilse und Werner und Hasenruh nicht mehr gesehen und werde daher auch nie erfahren, wo der Bartl jetzt eigentlich den Most holt. Ich vermute, er holt ihn aus dem Keller. Da, wo alle Leichen von Hasenruh liegen.